Lonn E, Bosch J, Yusuf S et al.
Effects of long-term vitamin E supplementation on cardiovascular events and cancer: a randomized controlled trial. JAMA (2005) 293:1338-47
(Mai 2005)
HOPE - Hintergrund & Geschichte
Im Jahr 2001 wurde die HOPE-Studie (Heart Outcomes Prevention Evaluation) veröffentlicht, an der mehr als 9000 Frauen und Männer im Alter von mindestens 55 Jahren und mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt oder Schlaganfall) teilnahmen. Die Studie wurde als multizentrische randomisierte Doppelblindstudie durchgeführt.
Intervention: 2 x 2 faktorielles Design, Intervention mit dem Angiotensin-converting Enzym-(ACE)-Hemmer Ramipril und Vitamin E (400 IE aus natürlichen Quellen) über durchschnittlich 4,5 Jahre. Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus kardiovaskulären Todesfällen, Myokardinfarkt und Schlaganfällen. Die sekundären Endpunkte waren allgemeine Sterblichkeit („all cause mortality“), stationäre Aufnahme wegen Herzinsuffizienz oder instabiler Angina pectoris sowie das Auftreten diabetischer Komplikationen. Ergebnis: i) kein signifikanter Unterschied zwischen Placebo und Vitamin E hinsichtlich der Zahl der Todesfälle, der Inzidenz der sekundären kardiovaskulären Resultate oder der allgemeinen Sterblichkeit. ii) keine signifikanten unerwünschte Nebenwirkungen von Vitamin E.
Ziel der erweiterten HOPE-Studie
Die HOPE-Studie wurde um knapp 3 Jahre verlängert (HOPE-TOO), um herauszufinden, ob eine langfristige Substitutionstherapie mit Vitamin E das Risiko von Krebserkrankungen, Tod durch Krebserkrankungen oder bedeutenden kardiovaskulären Ereignissen senken kann.
Studiendesign
Von Studienzentren der HOPE-Studie nahmen 65% an der erweiterten Studie teil. Von den an diesen Zentren ursprünglich aufgenommenen 7030 Patienten waren 916 (13%) während der eigentlichen HOPE-Studie verstorben, 1382 (20%) willigten nicht in die Teilnahme an der erweiterten Studie ein, 738 (10%) willigten in ein passives Follow-up ein, und 3994 (57%) nahmen weiterhin Vitamin E bzw. Placebo. Die primären Endpunkte waren Inzidenz von Krebserkrankungen und schwere kardiovaskuläre Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskuläre Todesfälle). Sekundäre Endpunkte waren Herzinsuffizienz, instabile Angina pectoris und Revaskularisation. Die mittlere Dauer des Follow-up betrug 7,0 Jahre (Median).
Intervention
400 IE Vitamin E aus natürlicher Quelle oder Placebo.
Da die Wirkung von Ramipril in der HOPE-Studie klar belegt worden war, wurde die Verblindung bzgl. Ramipril abgebrochen und alle Patienten wurden angewiesen, einen ACE-Hemmer zu nehmen. Zu Beginn der Erweiterungsstudie (HOPE-TOO) begannen 67% der Patienten aus der Placebogruppe mit der Einnahme eines ACE-Hemmers.
Wichtigste Unterschiede zwischen HOPE und HOPE-TOO
Primäres Resultat von HOPE-TOO: Inzidenz von Krebserkrankungen zusätzlich zu schweren kardiovaskulären Ereignissen.
Ergebnisse
keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf:
Krebserkrankungen: 552 (11,6%) in der mit Vitamin E behandelten Gruppe gegenüber 586 (12,3%) in der Placebogruppe (relatives Risiko 0,94; 95%-Konfidenzintervall 0,84-1,06; p=0,30),
Todesfälle durch Krebserkrankungen: 156 (3,3%) unter Vitamin E gegenüber 178 (3,7%) unter Placebo (relatives Risiko 0,88, 95%-Konfidenzintervall 0,79-1,09; p=0,23) und
schwere kardiovaskuläre Ereignisse: 1022 (21,5%) unter Vitamin E gegenüber 985 (20,6%) unter Placebo (relatives Risiko 1,04, 95%-Konfidenzintervall, 0,96-1,14; p=0,34).
Signifikante Unterschiede fanden sich bei der Analyse von Teilgruppen:
Ein um 13% erhöhtes Risiko für Herzinsuffizienz unter Vitamin E (relatives Risiko 1,13, 95%-Konfidenzintervall 1,01-1,26; p=0,03)
Steigerung der stationären Aufnahmen wegen Herzinsuffizienz unter Vitamin E um 21% (relatives Risiko 1,21, 95%-Konfidenzintervall 1,00-1,47, p=0,045).
Statistik
Alle Analysen wurde auf Basis von Intention-to-Treat durchgeführt. Die primären Analysen umfassten alle Daten der ursprünglichen HOPE-Studie (9541 Patienten) mit einem mittleren Follow-up von 7 Jahren (Median).
Bei der Sensitivitätsanalyse wurden nur die 7030 Patienten berücksichtigt, die auch an der Erweiterungsstudie teilnahmen.
Schlussfolgerung
Eine langfristige Substitutionstherapie mit Vitamin E verhindert weder Krebs noch schwere kardiovaskuläre Ereignisse, sie erhöht möglicherweise aber bei Menschen mit Gefäßerkrankungen oder Diabetes das Risiko für Herzinsuffizienz.
Kommentar der GVF
Allgemeines
Die beobachtete Erhöhung der Häufigkeit von Herzinsuffizienz war nicht erwartet, und wurde bis jetzt bei keiner der anderen Interventionsstudien beobachtet. Das Resultat „Erhöhung des Risikos für Herzinsuffizienz“ könnte daher auch ein Zufallsergebnis sein. Dieses Ergebnis muss durch weitere Forschungen bestätigt werden, bevor endgültige Schlussfolgerungen gezogen werden.
In der HOPE-Studie sollte vor allem die Wirksamkeit von Vitamin E bei der Prävention von kardiovaskulären Ereignissen bei Risikopatienten, und nicht die Prävention von Herzerkrankungen bei Gesunden durch eine Substitution von Vitamin E untersucht werden.
Die Studie untersuchte darüber hinaus die Wirkung von Vitamin E auf verschiedene Krebserkrankungen. Im Zusammenhang mit der Gabe von Vitamin E wurde eine Senkung der Häufigkeit von Lungenkrebserkrankungen beobachtet (relatives Risiko 0,72, 95%-Konfidenzintervall 0,53-0,98; p=0,04). Diese Zahlen erreichten jedoch nicht das vorher definierte statistische Signifikanzniveau, und dieses Resultat konnte bei der späteren Sensitivitätsanalyse auch nicht bestätigt werden. Die Autoren interpretieren es daher als Zufallsergebnis, da andere entsprechende Studien ebenfalls keine protektive Wirkung gegen Lungenkrebs fanden. Allerdings bestätigen andere Studien auch nicht die in dieser Studie beobachtete negative Wirkung (erhöhtes Risiko für Herzversagen).
Vitamin E hat erwiesenermaßen günstige Wirkungen auf die Gesundheit und spielt im gesamten Organismus eine essentielle Rolle. Es ist für eine Reihe von Funktionen von großer Bedeutung, wie zum Beispiel ein vermindertes Risikos von chronischen und/oder altersbedingten Erkrankungen.
Beispiele
Immunsystem: Ein Team von Wissenschaftlern der Tufts University, Boston, publizierte kürzlich die Ergebnisse einer Interventionsstudie, nach denen bei älteren Patienten unter Vitamin E eine geringere Inzidenz von Infektionen der oberen Atemwege im Vergleich zu Placebo nachgewiesen wurde.
Augenerkrankungen: In der AREDS-Studie3 (2001) fand sich eine Verlangsamung der Progression von altersbedingter Makuladegeneration, und in der REACT-Studie wurde eine geringere Inzidenz von Katarakten beobachtet4.
Kognitive Beeinträchtigungen: In der ADCS-Studie war das Fortschreiten von M. Alzheimer signifikant verzögert5. Darüber hinaus weist eine Reihe von bedeutenden prospektiven epidemiologischen Studien auf eine mögliche protektive Wirkung von Vitamin E gegen M. Alzheimer hin.
Krebserkrankungen: In der ATBC-Studie fand sich eine signifikant verminderte Inzidenz und Mortalität bzgl. des Prostatakarzinoms6. In der vor kurzem veröffentlichten SU.VI.MAX-Studie7 führte Vitamin E in niedriger Dosierung und in Kombination mit anderen Antioxidantien zu einer signifikanten Senkung der Inzidenz von Krebserkrankungen insgesamt.
Präeklampsie (EPH-Gestose): Bei der Präeklampsie handelt es sich um eine schwere Komplikation, die in etwa 5% aller Schwangerschaften im dritten Trimester auftritt und die durch Bluthochdruck und Proteinurie gekennzeichnet ist. In einer Interventionsstudie wurde eine hochsignifkante Verminderung der Präeklampsie-Inzidenz unter Vitamin E plus C im Vergleich zu Placebo beobachtet8. Die wird derzeit weltweit in mehreren multizentrischen Studie weiter untersucht, so in Großbritannien (VIP-trial), in den USA (University of Pittsburgh), in Australien (University of Adelaide), und mit Unterstützung der WHO auch in Südafrika, Peru und Indien.9
Rheumatoide Arthritis: In mehreren kleineren plazebokontrollierten Doppelblindstudien wurde eine schmerzstillende Wirkung von Vitamin E nachgewiesen10, und in einer der Studien darüber hinaus für eine Besserung der klinischen Parameter11. Vitamin E war in Bezug auf die Besserung von Schmerzparametern in zwei Studien genauso wirksam war wie Diclofenac11,12.
Man sollte auch berücksichtigen, dass die Prävention von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht der wichtigste und/oder einzige Grund für die Verwendung von Vitaminsupplementen ist.
Beobachtende epidemiologische Studien vs. Interventionsstudien
Die Resultate von mindestens 4 großen Kohortenstudien legen nahe, dass die langfristige Einnahme von Vitamin E eine gesunde Population vor der Entstehung von Herzerkrankungen schützen kann. Darüber hinaus haben mechanistische Studien gezeigt, dass Vitamin E seine Wirkung vor allem im Sinne einer primären, und weniger einer sekundären Prävention, entfaltet (primäre Prävention = Vermeidung bzw. Verzögerung der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen; sekundäre Prävention = Vermeidung von weiteren kardiovaskulären Ereignissen bei Personen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder hohem Risiko). Die Intervention in einer Risikopopulation ist nicht der geeignete Ansatz, um die präventive Wirkung von Nährstoffen zu ermitteln. Neutrale Resultate widersprechen nicht den epidemiologischen Erkenntnissen, sondern sie veranschaulichen lediglich unseren Bedarf an neuen Wegen zur Bewertung der Validität von korrelativen, mechanistischen und tierexperimentellen Daten.
Die Diskrepanz zwischen den beeindruckenden Daten aus beobachtenden epidemiologischen Studien und denen von klinischen Interventionsstudien könnte einfach auf den Unterschied zwischen einer lebenslangen Einnahme von Antioxidantien wie Vitamin E und einer zeitlich begrenzten Einnahme über 7 Jahre durch ältere Risikopatienten zurückzuführen sein. Man kann nicht erwarten, dass Antioxidantien wie Vitamin E die negativen Auswirkungen des Tabakkonsums oder einer schlechten Ernährung umkehren können. Die meisten Menschen verwenden Antioxidantien wegen ihres breiten Spektrums an positiven Wirkungen ein. Diese positiven Wirkungen lassen sich durch eine gesunde Lebensführung mit regelmäßiger körperlicher Betätigung, gesunder Ernährung und der langfristige Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln erreichen.
Das wichtigste Ergebnis der epidemiologischen Studien war die Erkenntnis, dass eine zu geringe Aufnahme bestimmter (Mikro-)Nährstoffe klar mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko korreliert. Es ist daher nahe liegend, den antioxidativen Vitaminen eine entsprechend günstige Wirkung zuzuschreiben. Dieses Ergebnis bzgl. des Vitaminstatus zu Studienbeginn wurde bei der Planung von Interventionsstudien jedoch nicht in Betracht gezogen. Es ist eine Tatsache, dass die Placebogruppen in vielen Interventionsstudien bereits über eine ausreichende Vitaminversorgung verfügen. Das Hauptergebnis der Interventionsstudien war daher die Erkenntnis, dass die Aufnahme einer hohen und über den Bedarf hinausgehenden Dosis bestimmter Nährstoffe nicht das Erkrankungsrisiko senken kann.
Schwachpunkte der Studie
Die Hochrisikopatienten nahmen Arzneimittel (Betablocker, Aspirin, Lipidsenker, Diuretika, Kalziumantagonisten, oft in Kombination) zur Behandlung ihrer individuellen Erkrankungen, wodurch das Resultat der Studie möglicherweise verfälscht wurde. Nur bei einer Untergruppe der Patienten wurde der Plasmaspiegel von Vitamin E gemessen, so dass die Compliance nicht beurteilt werden kann.
Die Wirksamkeit der Vitamin E durch Analyse von biologischen Markern für oxidativen Stress und Entzündung wurde nicht ermittelt.
Es handelt sich um eine multizentrische Studie an einer Personengruppe, die sich in Bezug auf geographische Herkunft, Ernährungsgewohnheiten und Ernährungsstatus (Daten zur Ernährung und insbesondere zur Aufnahme von Antioxidantien fehlen) stark unterscheidet. Diese Population ist möglicherweise in Bezug auf oxidativen Stress und genetischen Hintergrund sehr heterogen zusammengesetzt (Polymorphismen, Responder und Non-Responder, „genetic profiling“).
Zukunft
Gegenwärtig wird eine Reihe von klinischen Studien über Vitamin E durchgeführt, unter anderem eine Studie mit mehr als 34000 Männern zur Klärung der Frage, ob Vitamin E und Selen das Risiko von Prostatakrebs senken können. Diese Studien laufen weiter, weil sowohl die Wissenschaftler als auch die Sponsoren weiterhin auf die Sicherheit von Vitamin E vertrauen und die Wahrscheinlichkeit für einen Nutzen als sehr hoch bewerten.
Eine Intervention in einer Risikopopulation ist kein geeigneter Ansatz zur Untersuchung der präventiven Rolle von Nährstoffen. Die zentrale Frage, ob ein Nährstoff bei den meisten Menschen die Entstehung einer Erkrankung vermeiden kann, wird nicht beantwortet. Es sind Studien mit einem alternativen Design erforderlich.
Literatur
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